Hier nun mein Bericht über den ganzen Unsinn, der mich schon seit Februar 2009 bis einschließlich heute beschäftigt:
Abfahrt nach Sölden war am Freitag morgens um 04:00 in Aachen. Den Wagen hatte ich schon am Abend vorher mit allem geladen, damit ich zügig losfahren konnte und auch noch ein bißchen was von der Nacht hatte. In Köln habe ich dann noch zwei Mitfahrer aufgegabelt, die beide mit nach Sölden wollten. Ein Pärchen, er fuhr den Ötzi auch mit und sie wollte ihn anfeuern. Somit hatten wir schon mal ein gutes Gesprächsthema auf der langen Fahrt nach Österreich. Wir sind absolut problemlos durchgekommen, nur am Fernpass gabs einen Unfall, der einen Stau verursacht hat. Der hat uns etwa eine Stunde Wartezeit gekostet, aber vorher hatten wir schon viel Zeit auf der Strecke gutgemacht, war also kein Problem. Sehr beunruhigt hat mich allerdings die Tatsache, dass das Mädel stark erkältet war, mit grippeähnlichen Symptomen und die ganze Fahrt ununterbrochen husten mußte. Ich als bekennender Hypochonder habe mir natürlich für Sonntag schon das Schlimmste ausgemalt. Fieber, Husten und was es nicht alles gibt.
In Sölden angekommen, war ich als erster von unserer Gruppe (www.aachener-runde.de) in der FeWo, hab alles gerichtet und bin später noch mit ratze und Gary von Sölden die Rückseite des Timmelsjochs bis zur Mautstation hoch und den berüchtigten Gegenanstieg runter und wieder zurück. Das allein hat eigentlich schon gereicht. Am Samstag, als dann alle da waren, haben wir alle unsere Startunterlagen geholt und mir ging es schon seit dem Frühstück tierisch schlecht. Magen und Darm haben nicht so gemacht, wie ich wollte. Mir war tierisch schlecht und ich dachte, das ist jetzt das Resultat der Autofahrt.
Das hat sich dann über Mittag zum Glück einigermaßen gebessert und nach einem ausgiebigen Bad in unserem Whirlpool (echt geiles Teil) gings mir wieder richtig gut. Kaum stand aber das Abendessen (Nudeln, was sonst) auf dem Tisch, gings wieder los. Hab mir mit Mühe und Not zwei kleine Portiönchen runtergewürgt. Stefan hat sich alle Mühe gegeben und es war echt lecker, aber mir war echt elend. Ich hab die ganze Zeit gedacht, ich werde wirklich noch krank und bekomm Durchfall, aber es war zum Glück nur die Aufregung. Wir sind dann früh zu Bett, da der Wecker ja um 4 Uhr in der Früh klingeln sollte. In der Zwischenzeit hatten wir uns nämlich auf 05:35 Abfahrt FeWo geeinigt, um uns Richtung Startaufstellung zu begeben, damit wir vorne stehen. Ich habe in der ganzen Nacht maximal eine halbe Stunde geschlafen. Jan neben mir war SOFORT eingeschlafen.
Bin dann aber gut aus dem Bett gekommen und konnte sogar mein Müsli einigermaßen gut essen, hatte aber die ganze Zeit die Befürchtung, dass es nachher hintenraus nochmal kracht. Es hat jedenfalls im Magen gerumpelt und ich bin - wie immer - vorm Start nicht aufs Klo gekommen. Konnte ich auch nichts mehr machen, für Einzelschicksale war jetzt keine Zeit. Wir sind dann Richtung Start gerollt, waren eigentlich noch mit anderen aus unserer Gruppe, die anderweitig übernachtet haben, verabredet, aber nur Stefan Nr.2 kam zum vereinbarten Treffpunkt. Etwas später als geplant sind wir dann in die Aufstellung gerollt und standen dennoch maximal 100 m vom Startbogen entfernt. Das war allerdings bitter damit erkauft, dass wir noch eine gute Stunde ausharren mußten. Und das im Dunkeln und unter 5°.
Lena stand vor dem Start etwa einen Meter versetzt hinter mir und kaum hat sich die Reihe vor uns in Bewegung gesetzt, war sie auch schon an mir vorbei und hat sich, schneller als ich überhaupt in die Pedale kam, irgendwie durch die vor uns stehenden Fahrer durchgemogelt und war weg! Kaum war ich allerdings eingeklickt, gings auch bei mir los. Ich habe mich vom ersten Meter an super gefühlt. Alle Probleme waren komplett vergessen. Ich habe mich die ersten paar Sekunden an den anderen orientiert und gleich gemerkt, dass ich da ganz nach Lenas Vorbild schnell nach vorne muß. Gesagt getan! Ohne aggressiv zu fahren, hab ich angefangen, Tempo zu machen. Es lief direkt super, ohne nennenswerte Anstrengung habe ich Platz um Platz gut gemacht. Es muß grade am Ortsausgang von Sölden gewesen sein, als ich von dem Fahrer unserer Runde, mit dem ich als erstes gerechnet habe, überholt wurde: Stefan (Simm), wer sonst! Ich habe ihn auch relativ schnell aus den Augen verloren, besonders nach der ersten kritischen Situation, als das Feld einen kurzen Tunnel von ca. 40 m passierte. Obwohl der Ausgang sichtbar war, sind alle wie bekloppt in die Eisen gestiegen. Wahrscheinlich hat einer vor uns mal ganz sachte bei der Einfahrt das Tempo gedrosselt und nach hinten hat sich das ganze in der Heftigkeit gesteigert. Jedenfalls war das die erste Schrecksekunde. Ab da war dann Stefan auch wirklich weg. Die weitere Abfahrt nach Oetz verlief wie erwartet und ohne große Probleme. Dennoch hätte ich zwei, drei Fahrern eine an die Batterie hauen können. Was die sich im Feld für einen Mist erlaubt haben, geht absolut nicht. Glücklicherweise ist nichts passiert, weil die Straße doch breit genug war. Kurios war jedoch, dass ich bestimmt drei oder vier ältere Herren überholt habe, die mittig auf der Straße und auf total flatternden Rädern unterwegs waren.
Auf der Anreise nach Sölden ist mir ein Streckenabschnitt aufgefallen, der mir leichte Sorgen bereitet hat. Aus dem Auto heraus wirkte das auf mich wie ein nennenswerter Anstieg mitten in der Abfahrt. Ich hatte den lang und steil in Erinnerung und dachte, das wär so ein Punkt, an dem man schon so richtig drüber ballern muß, um mitzuhalten. In der Realität habe ich dieses Stück aber nur an der Landschaft wieder erkannt, so schnell war man da drüber. Von da an hat sich das Feld auch von der Breite in die Länge gezogen, was ich sehr angenehm fand. Dabei entstanden aber auch viele Löcher zwischen den einzelnen Gruppen. Obwohl ich eigentlich nicht so der Typ bin, sowas zuzufahren, ging das ohne großen Kraftaufwand. Daher hat es mich auch gewundert, dass ich das immer alleine gemacht habe. Nie hat sich einer reingehängt und sich mitziehen lassen. Von Längenfeld bis Oetz war also Gruppen-Hopping angesagt.
Kaum in Oetz angekommen, ging es im ersten Kreisverkehr scharf rechts ab zum Kühtai hoch. Hier hat sich zum ersten Mal unser früher Start bezahlt gemacht. Von anderen Fahrern habe ich gehört, dass sie dort aufgrund des Staus komplett ausklicken und mehrere Minuten schieben mußten. Als ich über den Zeitmesspunkt fuhr, hab ich kurz auf meine Stoppuhr geschaut und ausgerechnet, dass ich bei meinem kalkulierten 10h-Ritt genau nach Gesamtfahrzeit 2:00 h oben auf dem Kühtai ankommen müßte, was einer reinen Kletterzeit von 1:20 entspräche, da die Abfahrt nach 40 Minuten erledigt war. Kaum habe ich den Blick von der Uhr wieder auf die Straße gerichtet, ruft es von hinten "Viel Glück, Johnny!". Das war Lena, die mich aufgemuntert hat. Der Übergang in den Berg ging super, ich habe sofort mein Tempo gefunden. Windweste noch schnell weg, Armlinge runter, Knielinge runter und Trikot aufgemacht. Mir wurde direkt warm. Unmittelbar nach Lena tauchte auf einmal Stefan vor mir auf. Ich habe ihn gefragt, ob wir bis zum Brenner hoch zusammen fahren wollen. Ohne eigennützig zu sein, war das das Beste, was mir passieren konnte. Stefan ist ein verdammter Drücker, der den Brenner locker flachbügeln kann. In seinem Sog konnte ich nur gewinnen. Nach einer kurzen Diskussion ("Fahr du deinen Rhythmus!", "Wir schauen mal" ...) ging es dann nebeneinander weiter. Das Tempo war genau richtig für mich, der Puls lag während des gesamten Anstieges im optimalen Bereich.
Vom Kühtai habe ich im Vorfeld mehrfach gehört, er sei unrhythmisch und nicht so schön zu fahren. Stimmt im Prinzip, meistens geht’s so mit 7 % hoch, dann gibt’s ein paar steile Rampen und sogar wieder kleine Zwischenabfahrten und Flachstücke. Heute fand ich das aber klasse. Insgesamt war der Kühtai sogar der angenehmste Berg für mich. Kurz vor dem Stück mit den Serpentinen fällt mir vor mir ein Fahrer mit dem Nachnamen Kessler auf. Ich denk mir noch: „Das wär jetzt lustig, wenn der noch Matthias heißen würde“, lese weiter und er heißt Matthias. Im Vorbeifahren frage ich höflich, ob er der „berühmte“ Matthias Kessler wäre und kassiere nur eine patzige Antwort. So ein Sack! War wirklich nur interessehalber gefragt, weil ich ihn nicht gleich vom Äußeren erkannt habe. In den Serpentinen habe ich auch Gary gesehen, der ca. 75 m hinter uns fuhr.
In einer der folgenden kurzen Abfahrten mit schnellem Gegenanstieg ist dann etwas passiert, dass ich dachte, mein Rennen wär für heute gelaufen. Wir sind recht fix aus der Senke rausgekommen und haben den kleinen Anstieg zügig bewältigt und sind dabei auf ein paar Fahrer aufgefahren, die wir überholen mussten. Dabei haben wir beide wohl nicht aufgepasst. Ergebnis war, dass ich mich mit meinem Vorderrad in Stefans hinterem Schnellspanner hinten verfangen habe. Es hat ordentlich gerummst. Zum Glück konnten wir beide einen Sturz verhindern. Mein erster Gedanke war, das muß es gewesen sein. Speichenriss oder so. Jedenfalls hatte ich einen Schlag von ca. vier, fünf mm im Rad. Sofort musste ich auch an das Höllentempo auf der Abfahrt denken, auf der es auch ein paar Weideroste zu überfahren galt, die schon ordentlich scheppern. Nicht dass mir das Rad dabei um die Ohren fliegt. Wir haben kurz angehalten und ich habe mir das Rad mal angeschaut, konnte aber zum Glück keine Beschädigung an den Speichen feststellen. Also wieder auf aufs Rad! Während dieser „Pause“ ist Gary an uns vorbei gezogen.
Dann kam die Baustelle am Kühtai und das steilste Stück. Dort stand ein Servicewagen und ich bin sofort hin und habe gefragt, ob sie das Rad zentrieren können. „Ja klar, kein Thema!“ Also zack, Rad raus. Der Mechaniker nimmts mit ins Auto, kramt in der Kiste und gibt mir das Rad wieder unbehandelt raus. Kein Mavic-Werkzeug an Bord! Na super. Rad wieder rein und weiter hoch geeiert, oben sollte noch ein Service sein. Stefan wich zum Glück nicht von meiner Seite. Ein Ersatzrad hätte 30 € gekostet und ich hab mir in den nächsten Minuten nur Gedanken darüber gemacht, ob ich das (wirklich sehr wenige) Geld investieren soll. Hatte mich dann aus Sicherheitsbedenken dafür entschieden und als der nächste Service-Wagen kam, bin ich sofort hin und hab gesagt, ich bräuchte ein neues Laufrad. „Ruhig! Was ist denn los?“, fragen mich die beiden Jungs. Ich erklärs ihnen kurz und sofort war das passende Mavic-Werkzeug zur Hand und der eine schon am Zentrieren („Machen wir so. Das passt!“). Ich habe mir mehrfach versichern lassen, dass das auch wirklich hält. Hatte keinen Bock, da was zu riskieren. Die Jungs haben ihre Arbeit sehr gut gemacht und mich bergauf auch wieder angeschoben, was die anderen wohl vergessen haben.
Kurze Zeit später war auch die Labe erreicht. Trotz der Panne und ein paar verlorenen Minuten waren wir immer noch 5 Minuten schneller als erwartet. Ich hab kurz Wasser aufgefüllt und mir ein paar komische Sachen runtergewürgt und schon gings weiter.
Die Abfahrt hats wirklich in sich. Sehr steil und fast nur geradeaus, keine Kehren. Im größten Gefälle hatte ich ein paar Leute vor mir, an denen ich erst vorbei musste (mit etwas Vorsicht). Erst dann habe ich die Bremse aufgemacht und es richtig laufen lassen. Gereicht hat es immer noch für 104,5 km/h! Aber ehrlich gesagt, habe ich davon nichts gemerkt. Normalerweise wird man ab spätestens 80 etwas zurückhaltender, aber da waren perfekte Bedingungen. Ich bin dann im Grüppchen mit drei, vier anderen den Kühtai runter, ohne mich aber zu weit von Stefan zu entfernen. Mir war ja auch klar, dass der Knabe am Brenner meine Lebensversicherung ist.
Nach gefühlten 3 h Abfahrt, auf der mir aber nie kalt war (der Rotz lief, aber das war Rennfeeling), sind wir dann kurz vor Innsbruck ins Flache gekommen und hatten zum Glück eine Gruppe, in der wir uns mal kurz haben ziehen lassen können und ein bisschen die weitere Taktik besprochen haben. Nach kurzer Zeit hat Stefan das Kommando übernommen, ist mit mir nach vorne und hat das Tempo gemacht. Nach einer Weile hat ein anderer Fahrer übernommen, den ich dann wiederum abgelöst habe. Meine Ablösung war dann aber nur 30 Sekunden im Wind und hat sich dann wieder zurückfallen lassen und ich war wieder vorne. Mittlerweile waren wir auch schon in Innsbruck. Ein klitzekleiner Anstieg kam und bei mir kündigten sich Krämpfe seitlich in den Kniekehlen an. Ich hab sofort rausgenommen und die Gruppe inkl. Stefan war weg, der das wohl als normale Ablösung begriffen hat. Das konnte ja heiter werden. Krämpfe aus dem Blauen und dann auch noch Stefan weg! Na super. Ich habe die Krämpfe zum Glück schnell wieder unter Kontrolle gebracht und auf dem kleinen Stück bergab ein wenig gedehnt. Irgendwie habe ich es dann noch geschafft, in die Nähe von Stefan zurückzukommen. Nah genug, dass er mein Schreien gehört hat und gewartet hat.
Innsbruck war schnell passiert und wir hatten zu einer sehr großen Gruppe aufgeschlossen, die sich jetzt den Brenner hochmachte. Der beginnt mit einem für den Brenner steilen Stück und wir beide waren durch unser Tempo recht bald an der Spitze. Von einem Österreicher dazu aufgefordert, noch mal kurz Gas zu geben, um die nächste Gruppe vor uns zu erreichen, hat Stefan uns dann rangefahren. Wir hingen jetzt ganz gemütlich hinten drin und haben uns den kompletten Anstieg hochziehen lassen. Zwischendrin ist der Brenner ja wirklich topfeben. Aber mir seinen fast 40 Kilometern darf man auf keinen Fall den Fehler machen zu überziehen. Davor hatte ich wirklich Angst. So einen Berg bin ich noch nie gefahren. Laut meiner Berechnung hätten wir mit einem Schnitt von 29,3 in wieder 1:20 da hochfahren müssen. Umso überraschter war ich, als wir wieder 5 Minuten früher oben waren, mit deutlich über 30. Der Gesamtschnitt lag auch noch bei 32 km/h. Oben habe ich mich dann noch mal gedehnt, gegessen, aufgefüllt und gepinkelt. Nach einer etwas längeren Pause sind wir dann runter Richtung Sterzing. Dummerweise habe ich meinen Tacho neu einstellen müssen, der seit der ersten Fahrt in Sölden immer wieder den Empfang vom Sender verweigert hat, und habe dabei Stefan schon wieder verloren. Ausgerechnet in so einer Abfahrt. Nicht besonders steil, also genau Stefans Ding und nicht meins. Es war aussichtslos, sich an ihn ranzukämpfen. Bin unterwegs an ein paar Leuten vorbei, die sich dann noch bei mir in den Windschatten gehängt haben, den ich eigentlich so gebraucht hätte. Für solche Abfahrten fehlt mir einfach das Gewicht. Und keiner von denen ist nach vorne. Erst ganz am Ende auf mein 10. Zeichen mal. Stefan muß langsamer gemacht haben, denn ich konnte kurz vorm Anstieg zum Jaufenwieder aufschließen.
Kaum ging es allerdings wieder den ersten Meter bergauf, kamen sofort und synchron die Krämpfe wieder. Diesmal allerdings wesentlich heftiger. Ich habe Stefan gesagt, er soll fahren, weil er deutlich stärker schien. Ich habe mich für die Arbeit am Brenner bedankt und wir haben uns verabschiedet. Bin sofort links rangefahren, abgestiegen und hab mich gedehnt. Es ging dann auch wieder nach ein paar Minuten und ich bin weitergefahren. Für den Anstieg waren wieder 1:20 kalkuliert. Der Jaufen ist sehr gleichmäßig, konstant 7-8 %. Landschaftlich ist er ein Traum. Mittlerweile war es auch schon wärmer, der Wald spendete Schatten. Dennoch war dieser Berg ein absoluter Kampf, gegen die Steigung und vor allem gegen mich selbst. Hier habe ich schon auf den ersten Kilometern ans Aufgeben gedacht, immer im Hinterkopf, dass das Timmelsjoch ja noch schwieriger und doppelt so lang ist. Der Berg hier lag mir überhaupt nicht, ich fand einfach nicht das richtige Verhältnis aus Kraft, Drehzahl und Geschwindigkeit. Wenigstens konnte ich im Laufe des Anstieges zu Stefan wieder aufschließen („Oh, da isser wieder!“). Haben wir in den Anstiegen zuvor noch relativ viel geredet und auch gelacht, war es hier mucksmäußchenstill. Es gab außer Flüchen auch nichts zu sagen. Hier ist wirklich jeder seinen Rhythmus (auch wenn ich eigentlich keinen hatte) und für sich allein gefahren. Ich musste wieder ein wenig abreißen lassen. Als wir dann aus dem Wald rauskamen, wurde mir überhaupt erst das ganze Ausmaß der Katastrophe Jaufen bewusst. Von da aus hatte man einen erbarmungslosen Überblick über die restlichen Kilometer bis zum Gipfel. Da ist mir dann auch ein lautes „Scheiße“ rausgerutscht. Der Gedanke an die Aufgabe war wieder da und deutlich präsenter als vorher. Mittlerweile hatte ich Stefan aber irgendwie wieder erreicht und wir sind gemeinsam bis zum Gipfel. Die letzten 500 m bekam ich aber wieder die Krämpfe, zu denen sich weitere auf der Unterseite der Oberschenkel gesellten. Ich habe die Zähne zusammengebissen und bin weiter, auch wenn bei jeder Umdrehung der Muskel drohte, komplett zu versagen. Wie sehr habe ich mich nach der Labe gesehnt Die war allerdings nicht oben auf der Passhöhe, sondern einen Kilometer weiter auf der Abfahrt. Trotz all der Probleme hatten wir den Gipfel wieder 5 Minuten schneller passiert. Das gab mir ein wenig Hoffnung. Ich muß sagen, dass es ein Glück war, das die Labe ein Stück weiter unten war. So konnte ich mich noch kurz dehnen. Ansonsten wäre ich wohl vor lauter Krämpfen vom Rad gefallen. Dennoch bat ich Stefan, mich im Zweifelsfall beim Absteigen zu stützen. War aber nicht nötig. An der Labe haben wir wieder etwas ausgiebiger pausiert und nacheinander trudelten auch Micha, Sabine und Herbert ein.
Die Jaufenabfahrt ist sagenhaft. Im Vorfeld war ich wegen des Belags mit den Längsfugen besorgt, aber das stellte sich während der Abfahrt als geringstes Problem raus. In dem Gedanken, dass ich noch ein bisschen Spaß haben wollte, bevor ich dann am Timmelsjoch aufgebe, bin ich vollgas da runter. Und das hat sich gelohnt, kann ich euch sagen. Vom allerfeinsten. Sowas muß man genießen. Leider hat sich da wohl ein schwerer Unfall später ereignet. Dennoch fand ich die Strecke gut fahrbar.
Kaum unten angekommen, machte es auch schon wieder *beep* auf der Zeitmessmatte, die den Anstieg auf das Timmelsjoch ankündigt. Laut Plan standen uns dafür 2:40 zur Verfügung. Kaum war ich jenseits der Matte, waren die Krämpfe in den Kniekehlen wieder da. Stefan war auch schon wieder da, hatte Micha im Schlepptau und ich bin wieder runter vom Rad und hab mich gedehnt. Und wieder gings schnell vorbei und ich konnte mich wieder zurückkämpfen. Mittlerweile war es auch schon so heiß, dass ich mein Unterhemd lautstark verflucht habe. Sollte ich den Ötzi noch mal unter diesen Bedingungen fahren, bleibt das im Koffer, auch wenn es am Anfang kalt ist. Mir ist es erst da aufgefallen, aber Micha, der verrückte Kerl, fährt bei praller Sonne mit Mütze unterm Helm, langarmig, mit Weste und (ich glaube) Knielingen. Wahrscheinlich hatte er auch noch Überschuhe an.
Ein großer Fehler von mir war, in der Labe am Jaufen beide Flaschen mit klebrigen Isozeug auffüllen zu lassen. Wie sehr habe ich mir bei all dem süßen Zeug an diesem Tag und bei dieser Hitze einfach nur Wasser herbeigewünscht. Sowohl zum trinken als auch zum drüberschütten. Nach langer Zeit wurde ich durch eine mobile Wasserstelle erlöst! Welch ein Segen! Ordinäres, stinknormales Wasser! Oh du Ursprung allen Lebens! Mittlerweile hatte ich mich wieder gut erholt und war fit, leider schwächelte Stefan ein wenig. Besonders die steilen Stücke machten ihm zu schaffen. Ich hatte längst beschlossen, dass wir das Ding nach allem, was war, gemeinsam zu Ende fahren. Also bin ich bei ihm geblieben. Eine Wohltat waren die vielen Tunnel auf der Strecke, in denen angenehme Kühle herrschte.
Bis zu Labe war es ein anstrengender Weg und von dort aus noch 10 Kilometer bis auf den Gipfel. An der Labe haben wir noch ausgiebiger pausiert als zuvor, Stefan bat darum und ich habe die Zeit genutzt und hab mich massieren lassen. War sehr angenehm. Dennoch war das Losfahren nach der Rast für mich etwas schwierig, während Stefan auf dem Flachstück ganz gut drückte. Ich bin mit viel Willen dran geblieben. Als es dann wieder ins Steile kam, war er wieder am Kämpfen und mir ging es wieder sehr gut. Keine Krämpfe, keine Schmerzen und Sitzprobleme. Daher schockte mich auch der Anblick der noch zu bewältigenden Strecke nicht so sehr wie am Jaufen. Ich empfand das als majestätisch und habe alle Impressionen in mich hineingesogen. Zeit für Albereien war auch noch:
Die letzten Kilometer waren sehr steil und es ging durch die legendären Serpentinen! Was für ein Gefühl. Da merkt man erstmal, wie schön unser Sport überhaupt ist. Welch ein Lohn für all die Strapazen. Oben ging es dann in den Tunnel. Das war auch ein Erlebnis. Tropfende Decke, etwas rumpeliger Belag, 500 m lang. Das allein war schon im Zusammenspiel toll. Dazu kam aber noch, dass die Straße komplett flach wurde und die Gewissheit da war, dass wir durchkommen. Und dass auch noch unter 10 h, wie es derzeit aussah. Was ein Gefühl. Der letzte Kilometer zum Timmelsjoch glich einer Triumphfahrt, auch wenn der Gegenanstieg noch nicht gemeistert war. Trotz der langen Pause waren wir immer noch eine Minute schneller als berechnet (2:39). Kurz umarmt und beglückwunscht, ging es ab in die Abfahrt, die auch gigantisch ist! Da kam noch mehr Freude auf.
Im Gegenanstieg kamen bei mir wieder leichte Krämpfe, Stefan erwischte es aber leider stärker, so dass er diesmal absteigen musste. Nach einer kurzen Pause ging es dann weiter und die Mautstation war schneller als gedacht erreicht. Von jetzt an hieß es wirklich nur noch genießen! Was für Gefühle. Das waren wirklich Emotionen. Allerdings musste ich mich nach Innen freuen, auch wenn ich am liebsten wie wild mit Armen gejubelt hätte. Schließlich befand ich mich immer noch im Bewegungszustand im Geschwindigkeitsbereich 50-80 km/h.
Von der Durchfahrt in Sölden und den Zuschauern noch weiter gepusht, sind Stefan und ich dann an der Spitze einer Gruppe und auf einer Welle der Euphorie in den Zielbereich eingefahren und Hand in Hand nach 09:46 h über die Linie gerollt! Was für eine gelungene Premiere!! Leider gibt es kein gutes Zielfoto von uns.
Nach und nach kamen die anderen mit Superzeiten ins Ziel, bei Radler, Schnittchen und Obst wurden dann die Erlebnisse ausgetauscht.
Ich war komischerweise körperlich überhaupt nicht fertig, auch am nächsten Morgen nicht. Keine Müdigkeit, keine Wehwehchen und sonstiges. Und krank war ich auch nicht! Das ganze Wochenende war wirklich ein einzigartiges Erlebnis, das ich dieses hoffentlich wiederholen kann!!!
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